Unser Leib ist nicht einfach eine Hülle, in der wir „drinstecken“, so als käme es nicht auf ihn, sondern nur auf den seelisch-geistigen Kern an. Er gehört nicht zufällig zu uns und ist uns nicht einfach nur äußerlich, sondern eng verbunden mit unserem Seelisch-Geistigen. Dennoch hat er immer wieder auch etwas Fremdes und geradezu Objekthaftes. Erst daran kommen wir zu Bewusstsein und damit auch zu einer Freiheit des Handelns, einer Freiheit allerdings, in der uns gerade durch den Leib Grenzen gesetzt sind. Wären wir – wie die Tiere – ganz identisch mit unserem Leib, würden also die Differenz nicht spüren, könnten wir nicht wirklich handeln, und das heißt: nicht Geschichte schreiben. Unser Leib ist etwas Gegebenes, und zugleich können wir ihn gestalten. Physisches und Geistiges durchdringen sich im Leib, und damit durchdringen sich auch die beiden Welten, die die sogenannte „Metaphysik“ trennt: die Welt der Sinne und die Welt des Geistes. Letztlich ist es das, was wir „Inkarnation“ nennen, diese Durchdringung von Seelisch-Geistigem mit dem Physischen. Sie geschieht in der Zeit, in der weder die eine noch die andere Seite fertig ist, sondern beide zusammen in Entwicklung sind.
An Epiphanias erinnern wir uns daran, dass genau dies auch mit Gott geschehen ist. Christus hat sich inkarniert. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die es in keiner anderen Religion gibt. Ja, in den beiden Geschwisterreligionen, dem Judentum und dem Islam, ist dieses Zentrum des Christentums geradezu ein Tabu. Denn mit Christus kommt eine zweite Person ins Spiel, was dem Gebot des Monotheismus („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“) zu widersprechen scheint. Und zugleich steht die sinnliche Gestalt dem Bilderverbot entgegen, mit dem man dem unaussprechlichen Wesen Gottes gerecht zu werden sucht. Aber die Menschwerdung als Durchdringung der ganzen Leiblichkeit ist der Kern der Gewissheit, dass sich Gott ganz und gar mit den Menschen und der Erde verbunden hat und als Handelnder und Leidender in die Geschichte eingetreten ist, die eben auch unsere Geschichte ist. Die Inkarnation Gottes zu denken bleibt eine Herausforderung bis heute, denn es ist einfacher, das Göttliche in einem Jenseits zu belassen.[1] Nehmen wir die Herausforderung an, so machen wir uns auf den Weg, das Höchste nicht einfach in einem losgelösten Geistigen zu suchen, sondern in der sich gegenseitig befruchtenden Zusammengehörigkeit der Welt der Sinne und der Welt des Geistes, in der auch jeder Einzelne erst seinem Wesen gerecht wird.
[1] Vgl. zu diesem Thema auch: Ruth Ewertowski: Der Leib Gottes. Menschwerdung von oben und von unten, Stuttgart 2017
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